
By value2habit.de | Published | Keine Kommentare
Der Trend zu Patient Access eröffnet dem klassischen Market Access neue Ansatzpunkte, insbesondere die Entwicklung integrierender Gesundheitskonzepte. Diese versprechen nachhaltig erfolgreich zu sein, wenn sie konsequent auf Arzt- und Patientengewohnheiten ausgerichtet sind.
Patient Access als folgerichtige Weiterentwicklung von Market Access bedeutet, den Fokus auf die Steuerung des Zugangs der Patienten zur gesundheitlichen Versorgung zu richten, weg von der reinen Regulierung singulärer Innovationen.
Schaut man genauer hin, dann offenbart sich diese Ausrichtung auf verbesserten Zugang der Patienten zur Gesundheitsversorgung im Grunde aber als nichts anderes, als die Fortsetzung der Denkweise „viel hilft viel“. Je mehr Zugang zu guten Therapien, umso besser die Gesundheitsversorgung. Damit bleibt aber das eigentliche Kernproblem ungelöst.
Quo Vadis Patienten-Begleitprogramme?
Erste These: Die konsequente Ausrichtung auf die Gewohnheit von Patienten von Anfang an erhöht die Adhärenz neuer Therapieangebote.
Ja, manche Patienten-Begleitprogramme zielen darauf, Compliance und Adhärenz zu erhöhen. Nicht selten sind sie aber als eine Art Kundenbindungsmaßnahme darauf ausgerichtet, eine zeitweilig nachteilige Marktsituation des Unternehmens im Wettbewerbsvergleich abzufedern, damit das Zeitfenster bis zum Abschluss und Launch der kommenden, eigenen Pipeline-Entwicklung erfolgreich überbrückt wird. Viel zu selten konzipieren Unternehmen Patienten-Begleitprogramme und begleitende Maßnahmen, um Patienten zu befähigen, die adhärente Medikamenteneinnahme gezielt in ihr alltägliches Gewohnheitshandeln einzubetten oder sogar hinderliche, alte Gewohnheiten abzuändern.
Erfolgreicher Patient Access setzt im Prinzip also die Existenz von integrierenden Adhärenz-Programmen voraus. Solche, die sich an die Bezieher gesundheitlicher Leistungen und auch an deren Erbringer richten. Denn nicht nur bei Patienten, sondern auch auf der Ärzte-Seite wie auch auf der Seite der anderen Healthcare Professionals könnte viel mehr bewirkt werden, wenn es dort zur Gewohnheit würde, zuerst solche medikamentösen Therapieoptionen in Betracht zu ziehen, zu denen es begleitende, integrierende Maßnahmen gibt.
Patient Access bei digitalen Gesundheitskonzepten
Zweite These: Der Zugang von Patienten zu integrierenden digitalen Gesundheitsangeboten wird durch die lückenlose Ausrichtung auf die Gewohnheiten von Patienten und Ärzten erhöht.
Nehmen wir als Beispiel die »Digitalen Gesundheitsanwendungen« (DiGA), also medizinische Softwareprodukte, die Ärzte für Patienten kostenlos auf Rezept verschreiben können. Wie sieht es hier mit dem Patient Access bei DiGA aus? Rein zahlenmäßig noch sehr verhalten. Die Auswertung des GKV-Spitzenverband des ersten Jahres ergab lediglich rund 50.000 ausgegebene Codes auf Basis der bis Ende September 2021 verfügbaren 20 DiGA. Davon wurden im Berichtszeitraum rund 39.300 Codes eingelöst. Diese niedrigen Zahlen erstaunen. Woran kann das liegen?
Patienten sind es seit jeher gewohnt, für die Therapie ihrer Beschwerden Medikamente verordnet zu bekommen. Wie viele Patienten gehen auf den ärztlichen Vorschlag einer DiGA offen und bereitwillig ein? Wie viel Zeit ist der Arzt bereit, sich für die Patientenaufklärung Zeit zu nehmen, für völlig andere Fragen als denen, die der Arzt von Medikamentenverordnungen her gewohnt ist?
Und wie viele technischen, bedienungsorientierten Fragen bleiben ungeklärt, die aber möglichst rasch gelöst werden sollten, um den Beginn bzw. die Weiternutzung der DiGA nicht zu unterbrechen. Hier wundert es dann nicht, dass im jüngsten Bericht des GKV-Spitzenverbandes festgestellt wird, dass von allen DiGA-Verordnungen in knapp 22% der Fälle die Freischalt-Codes im Erhebungszeitraum nicht eingelöst wurden.
Werfen wir abschließend einen Blick auf die stark wachsenden Ansätze zur Einbindung künstlicher Intelligenz im Gesundheitsbereich. Hier fallen gleich Warnzeichen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ins Auge. In einem jüngst veröffentlichten Standort-Papier hat sie auf die Gefahr hingewiesen, dass heutige Entwicklungsprojekte zur Etablierung von KI-Technologien in der Gesundheitsversorgung zu einseitig ausgerichtet seien. Die WHO bezieht sich dabei auf eine Alters-basierte Diskriminierung (»Ageism«), die entsteht, weil KI-Designer „eine falsche Vorstellung darüber haben, wie ältere Menschen leben und mit Technologie umgehen und wie sie KI-Technologien für ihre Gesundheit nutzen wollen.“
Die WHO warnt vor dem Trend, dass zwar im Namen älterer Menschen KI-Lösungen entworfen werden, aber ohne die Erfahrungen der Älteren systematisch mit einzubeziehen. Dies kann zu einem unflexiblen Einsatz von KI-Technologien führen und – so das WHO – wenn solche Technologien z.B. als Pflegestandards übernommen werden, könnten ältere Menschen gezwungen sein, sich an den vorherrschenden Ansatz und an die Rationale der von Jüngeren erdachten KI-Technologie anpassen zu müssen, anstatt ihre eigene Erfahrung aufbauen zu können.
Auch KI-Entwickler täten also gut daran, das für diese neue Art integrierender Gesundheitskonzepte technisch Machbare mit der konkreten Lebenswirklichkeit von Patienten mit ihren Gewohnheiten zu erden.
Patienten-Gewohnheiten für die frühe und späte Nutzenbewertung
Dritte These: Die lückenlose Ausrichtung auf die Gewohnheit von Patienten führt zu besseren Ergebnissen beim frühen und späten Nachweis positiver Therapie- und Versorgungseffekte.
Im AMNOG-Prozess sind Patienten-berichtete Endpunkte (PROs) hoch relevanter Teil eines vom IQWIG bewerteten Dossiers zur frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln. Nach einer kürzlich veröffentlichten Auswertung des IQWIGS enthalten rund Dreiviertel eingereichter und berücksichtigter randomisiert kontrollierter Studien (RCTs) solche PROs. Dabei beurteilen Patienten selbst, wie sich der Einsatz einer medizinischen Maßnahme z.B. auf Symptome oder ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität auswirkt. Die Erfassung von PROs in klinischen Studien habe daher, so das IQWIG, in den letzten Jahren deutlich zugenommen.
Es braucht keiner großer Phantasie um sich vorzustellen, dass die PRO-Bewertung der Patienten – außer von den wahrgenommenen Symptomen – insbesondere davon stark beeinflusst wird, wie sie die Auswirkungen der Therapie auf ihre individuelle Lebensqualität wahrnehmen. Welche skalierte QoL-Abfrage dabei auch immer verwendet wird – der Einfluss der Therapie auf alltägliche Gewohnheiten wird den Patienten dabei immer gegenwärtig sein und sich im jeweils vergebenen Skalenwert widerspiegeln.
Aber auch bei der quasi »späten Nutzenbewertung« in Form von Patientenbefragungen zur Qualitätssicherung, die vom Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) gemäß 137a SGB V durchführt wird, dürften sich wahrgenommene Auswirkungen von Therapien auf Patientengewohnheiten in den Ergebnissen voll niederschlagen. Gleiches gilt für die von Krankenkassen regelmäßig durchgeführten Patientenbefragungen (AOK, Barmer und TK).
Bei integrierenden Gesundheitskonzepten sollte umso mehr berücksichtigt werden, wie gut sie bestehende Patientengewohnheiten einbeziehen bzw. Brücken bauen auf dem Weg zu neuen erforderlichen Gewohnheiten.
Fazit: Patient Access braucht die ganzheitliche Perspektive
Wie dargestellt, sollte echter Patient Access als konsequente Weiterentwicklung von Market Access über die vordergründige Patientenorientierung hinaus gehen. Echter Patient Access erfordert im Kern grundsätzlich eine klare Ausrichtung auf die Sicherstellung des für Patienten erforderlichen therapeutischen Nutzens.
Dieser für den Patienten erforderliche therapeutische Nutzen wird durch ein entsprechend geeignetes therapeutisches Medium (Medikament, Gerät, Dienstleistung) und unterstützende, integrierende Maßnahmen gewährleistet. Dieser ganzheitliche Ansatz einer integrierten Gesundheitsversorgung ist bislang noch nicht weit verbreitet, aber ein deutlich zu beobachtender Branchentrend.
Insbesondere die Möglichkeiten der Digitalisierung werden im Gesundheitsbereich bald zeigen, dass Nutzen orientierter Patient Access effektiv realisiert werden kann. DiGAs sind klare Vorboten dafür und haben ihre Bedeutung in einigen Indikationen als überaus wertvolle therapeutische Ergänzung zu bestehenden medikamentösen Therapien bereits vielfach unter Beweis gestellt.
Einige Unternehmen aus dem Pharma- und Medizintechnik-Bereich sind mit ihren innovativen, integrierten Versorgungskonzepten wahre Leuchttürme. Aber nicht wenige tun sich weiterhin schwer damit. Es gelingt nicht ohne weiteres, über ihre bisher erfolgreichen Geschäftsmodelle hinaus neue, zukunftsfähige Konzepte zu entwickeln und erfolgreich zu etablieren.
Die Gründe sind vielfältig. Sei es, weil das eigene Produkt- und Dienstleistungsportfolio eine sehr grundlegende Veränderung bzw. Ergänzung benötigt oder weil ein bereits angestoßener Veränderungsprozess nicht wirklich voran kommt. Silo-artiges Denken oder eine fest gefügte Firmenkultur nehmen einfach mehr Zeit für eine Transformation in Anspruch. Oder es werden Umwege genommen, indem zuerst versucht wird, externe Consultancy-Konzepte, die anderswo möglicherweise erfolgreich waren, zu kopieren und als neue Unternehmensstrategie zu exekutieren. Statt auf das Potenzial interner Experten für die organische Weiterentwicklung authentischer Lösungen zu setzen.
Der rasche nächste Schritt ist die effektivste Strategie, um weiter zu kommen
Für die Entwicklung ganzheitlicher, integrierender Nutzenangebote braucht es eine Prozessbegleitung, in der eine größere Vielfalt individueller Expertisen zusammenfließt. Vor allem müssen auch intern divergierende Sichtweisen und Interessen Raum bekommen, um auch deren konstruktive Energie für den Prozess und zur Stärkung eines abteilungsübergreifenden Commitments zu nutzen.
In den letzten Jahren haben sich dafür agile Arbeitsformen und Konzepte bewährt. Diese wurden auch in Großunternehmen erfolgreich installiert, denen man Agilität zuvor nicht spontan als »Unternehmens-Gen« attestiert hätte. Die Beispiele reichen von der Bundesagentur für Arbeit, Deutsche Bahn, Villeroy & Boch oder dem Energiekonzern EnBW, um nur einige zu nennen.
Ziel ist es dabei, erste Lösungsansätze in kurzen Entwicklungszyklen schrittweise zu konzipieren, Arbeitsergebnisse mit Endanwendern zu testen und iterativ über interne sowie externe Feedback-Schleifen rasch bis zur ausreichenden Produktreife voranzubringen. Mit lösungsorientierten Reviews durch die beauftragenden, internen Stakeholder und schrittweisen Prozessoptimierungen durch Team-Retrospektiven.
Essentielle Basis eines solchen Prozesses sind schnell verfügbare, präzise und ohne großen Aufwand auf den Punkt gebrachte Insights aus UX-Research und meist qualitativen Anwender-Interviews mit klarem Fokus auf Gains, Pains und Gewohnheiten. Außerdem einen gut aufgesetzten Design Thinking Prozess, der von erfahrenen Agile Coaches begleitet wird.
Bewährt hat sich dabei, den Blick über den eigenen Tellerrand durch die Sichtweise anderer Branchen zu weiten. Empfehlenswert ist hierfür insbesondere der Einsatz von Agile Coaches, die Erfahrungen mit Lösungstechniken aus anderen Branchen bei vergleichbarer Problemstellung haben. Eine solche Vorgehensweise ist nicht zuletzt gerade für KMUs aufgrund ihrer flacheren Strukturen, kürzeren Entscheidungswegen und größeren Kundennähe besonders Erfolg versprechend.